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Lebende Zellen und Mikroelektronik: Ersatz für Tierversuche

Wo möglich, ersetzt die biomedizinische Forschung heute Tierversuche durch Testsysteme mit Biomolekülen, die aus Organen oder Geweben isoliert werden. Solche in-vitro-Assays können jedoch die komplexen Wechselwirkungen im realen Organismus nur unzureichend abbilden. Forschende der Fraunhofer EMFT setzen lebende Zellen in den Assays ein und nutzen mikroelektronische Werkzeuge zur deren Beobachtung und Analyse.

© Fraunhofer EMFT
Die Zellkerne von Nierenzellen eines Hundes, angefärbt mit einem selektiven Fluoreszenzfarbstoff.
© Fraunhofer EMFT
Organische Einwegpolymerelektroden für die Impedanzanalyse lebender Zellen.

Bei vielen biomedizinischen Fragestellungen, etwa dem Test neuer Arzneistoffe, haben in-vitro-Tests mit isolierten Biomolekülen Tierversuche in den frühen Entwicklungsphasen reduziert oder ganz ersetzt. Das hat nicht nur ethische Gründe: Ein großer Vorteil dieser in-vitro-Modellsysteme ist, dass sie mit hohem Durchsatz unter reproduzierbaren Laborbedingungen durchzuführen sind. Häufig wird dabei das komplexe biologische System durch einzelne, isolierte und aufgereinigte Rezeptormoleküle (Proteine, Nukleinsäuren) ersetzt, um die Anzahl der beteiligten molekularen Komponenten überschaubar zu halten. Über einen festgelegten Zeitraum wird dann beispielsweise beobachtet, ob und wie der zu testende Wirkstoff an die Rezeptormoleküle bindet. Der Nachteil ist, dass sich mit diesem vereinfachten Modell die komplexen Bedingungen und Abläufe im realen Organismus nicht wirklich nachvollziehen lassen.

Lebende Zellen als »Goldener Mittelweg«

Forschende der Fraunhofer-Einrichtung für Mikrosysteme und Festkörper-Technologien EMFT am Standort Regensburg verfolgen einen viel versprechenden alternativen Ansatz: Als eine Art »goldenen Mittelweg« zwischen Versuchstieren und aufgereinigten Molekülen verwenden sie lebende Zellen für ihre Tests. Diese verfügen über viele verschiedene Rezeptoren auf ihrer Oberfläche und Signalketten in ihrem Inneren, mit denen sie unterschiedlichste Moleküle in ihrer Umgebung erkennen und darauf reagieren können. Der Ansatz des Forschungsteams beruht darauf, die Reaktion der Zelle auf die Bindung der zu testenden Substanz an die Rezeptoren zu erfassen – und die Zelle auf diese Weise als hochempfindliches Testsystem für Bioaktivitäts- oder Toxizitätsprüfung zu nutzen.

Die Zellen werden dazu als Einzelzellen oder in Form eines Gewebeverbundes auf die Oberfläche eines physikalischen Signalwandlers wie z. B. Metall- oder Polymerelektroden aufgebracht, auf denen sie aufwachsen können. Statt der Bindung eines Wirkstoffes an ein Zielmolekül der Zelle analysiert das Regensburger Forschungsteam die Reaktion der Zellen auf diesen Stimulus. Das können beispielsweise die Vitalität, die Geschwindigkeit der Zellteilung, die Geschwindigkeit der Zellwanderung oder auch die Änderungen des Zellvolumens sein. Dieses Verfahren kommt nicht nur der Komplexität realer Bedingungen wesentlich näher, sondern hat noch weitere Vorteile: So lässt sich die Reaktion auf einen experimentellen Stimulus (Chemikalien, Pharmaka, Mikroorganismen) ohne Einsatz von zusätzlichen Reagenzien (label-free) und über individuelle Zeitspannen von Millisekunden bis hin zu einigen Tagen verfolgen.

Breites Einsatzspektrum für Medizintechnik und Pharmakologie

Die Einsatzgebiete dieser zell-basierten Sensoren reichen von grundlegenden medizintechnischen Fragestellungen über Wirkstoffentwicklung und Toxizitätsprüfung bis hin zur regenerativen Medizin. Ein aktuelles Beispiel mit großem Potenzial ist die Kultur von Herzmuskelzellen auf Edelmetallelektroden. Das rhythmische Schlagen der Zellen wird durch Messung der Elektrodenimpedanz zeitaufgelöst registriert und erlaubt die Untersuchung neuer Pharmaka im Hinblick auf eine mögliche Beeinflussung des Herzschlages.

 

Über das Projekt:

Seit 1. Januar 2017 gehören Entwicklung und Anpassung oder Optimierung von Zellbasierten Sensoren und/ oder Assays zum Leistungsangebot der Fraunhofer EMFT. Das Team am Standort Regensburg bietet Beratung über geeignete Detektionsprinzipien, Materialauswahl, deren Funktionalisierung und Integration in individuelle Untersuchungsumgebungen bis hin zur Datenanalyse sowie Machbarkeitsstudien für spezielle Assayformate und -technologien an.

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